4/23/2016

Eine kurze Geschichte

Ich stehe auf, bin ein kreiselndes Teilchen. Blut rauscht durch die Gänge meines Körpers.
Ich hebe den Regenschirm auf und laufe weiter.

Ich laufe weg, weil ich gerne laufe.
Und weil ich nicht gerne dort bin, wo ich war.
 
Meine Füße treffen jede Pfütze und meine Schuhe laufen über Regenwasser.

Wenn es regnet, klingen die Autos anders auf der Straße. Wie in Blechbüchsen gefangener Donner. Ich laufe unter Laternen entlang, die am Weg stehen wie leuchtende Lollis für verstoßene Engel.

Wenn es regnet, sind die Menschen anders.
Wenn es regnet, weißt du, mit wem du befreundet sein willst.
Wenn es regnet, merke ich, dass auch ich manchmal vor dem Regen wegrennen und dass ich nicht gerne mit mir selbst befreundet wäre.

Wenn es regnet, sind die Welten in den Wolken graue Festungen aus Gewittergestein.

Wenn es regnet, fahre ich gerne mit der Straßenbahn und heute war ein guter Tag, um Straßenbahn zu fahren. Heute war auch ein guter Tag zum Sterben und ein schlechter um seine Antidepressiva abzusetzen. Heute war kein guter Tag, um mich alleine zu lassen.

Wenn es regnet, sind alle Fenster Leinwände aus Licht.

Wenn ich in der Straßenbahn sitze, fahre ich durch Felder aus wogenden Federn und alle Seen sind Goldwasserspiegel der Sonne. Wenn ich in der Straßenbahn sitze, fliegen Wale am Fenster vorbei und Pusteblumenkinder laufen im Wind. Wenn ich in der Straßenbahn sitze, fahre ich durch Sonnenblumenwälder und Tannenwiesen. Wenn ich in der Straßenbahn sitze, sehe ich Froot Loop-Fliegen durch Wolkenwellen kreiseln.

Wenn ich in der Straßenbahn sitze, beobachte ich.
Ich beobachte Kommunikation,
ich beobachte Menschen
Leben.

Und normalerweise ist das auch so, aber heute nicht.

Heute sitze ich in der Straßenbahn und im dunklen Leder meiner Schuhe spiegelt sich nichts.
Vor dem Fenster ziehen Staubfelder und Wälder aus schwarzgebrannten Streichhölzern vorbei.
Heute sind alle Seen trübe Pfützen und starren als erblindete Augen der Leere entgegen. Heute zittern Skelette im Wind und die Geister erschossener Vögel fallen fliegend durch die Aschewolken. Heute sind die Gesichter der Menschen Fassaden ohne Fenster und ihre Blicke singen lautlose Lieder des Unsagbaren.

Heute fühle ich mich falsch und irgendwie zu viel.
Heute habe ich meinen Platz verloren.

Heute fuhr die Straßenbahn im Kreis und hielt nur an einer Station.
Ich stieg nicht wirklich aus, der Boden verließ meine Füße und ich fiel. Bis meine Sohlen den Asphalt trafen und mein Bewusstsein in die Realität krachte.

Du warst nicht da, wo du hättest sein sollen und ich fühlte mich fern von dem, was ich hätte sein wollen.

Ich beobachtete und du hörtest zu. Unsere Gespräche waren wie Atmen. Unser Schweigen war die Luft. Ich mochte es, wie du einfach da warst. Neben mir.

Doch ich war Maskenmeisterin und du trugst Seelenkostüme.
Wir hatten die Augen offen und sahen nicht.

Wegen dir vergaß ich manchmal, dass andere Menschen auch nur Menschen sind. Dass wir alle menschlich und unsere Leben endlich sind.

Jetzt liege ich auf der Straße und warte auf den Tod, aber eigentlich nur darauf, dass es endlich aufhört.

Ich will endlose Dekaden schlafen, bis ich aufwache und Sonne aus meinen Gehirn strahlt.

 
Ich stehe auf, bin ein kreiselndes Teilchen. Blut rauscht durch die Gänge meines Körpers.

Ich hebe den Regenschirm auf und laufe weiter.

Ich laufe weg, weil ich gerne laufe.
Und weil ich nicht gerne dort bin, wo ich war. 

 ♣ ♣ ♣

Heute habe ich wirklich alles in meinem Post. Zeichnung, Fotos und einen richtigen Text, wuhu. Man merkt, dass ich wieder mehr Zeit habe, haha. Danke an all die Menschen, die sich die Mühe gemacht und den Text durchgelesen haben und jetzt würde es mich natürlich brennend interessieren, wie er euch gefallen hat. Kritik ist wie immer erlaubt, also nur keine Angst.

9 Kommentare:

  1. Wow! Der Text ist unglaublich fesselnd und besonders Geschrieben und die Zeichnung und Fotos dazu unterstreichen die Wirkung vom Text total. Ich würde sehr gerne noch so etwas von dir lesen/sehen! :)

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  2. Ich kann mich Hannah nur anschließen! Das hier ist jetzt erstmal nur die allererste Reaktion - ich werde den Text sicher noch häufiger lesen müssen. Mir gefällt auch die Mischung aus Text und Bildern mega gut - das bist wieer du, so wie man dich früher auf diesem Blog kennengelernt hat. Mach gerne weiter so♥

    Liebe Grüße,
    Malika

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  3. Der Text ist ...genial, traurig, wunderschön? Ich weiß gar nicht wirklich, welches Adjektiv es am besten trifft. Jedenfalls ist er vom Stil her wunderbar geschrieben und liest sich toll. Und ich konnte mich in einigen Passagen wiederfinden und musste an irgendwelche Situationen aus der Vergangenheit denken.
    Dieses Beobachten und Laufen sind irgendwie doch ein wenig Teil meines Lebens, verlassen hat mich die Person, die mir den meisten Halt gab genau da, als ich sie am meisten brauchte... aber obwohl der Text irgendwie traurig wirkt, hinterlässt er bei mir ein gutes Gefühl, weil ich mich verstanden fühle.

    Die Zeichnung finde ich richtig klasse und auch die Fotos passen einfach toll zum Text!

    Danke für dein Kommentar! Ein neuen Haarschnitt als Zeichen für einen neuen Lebensabschnitt zu wählen, finde ich auch gut! Ich hatte oft nach gescheiterten Beziehungen das Gefühl, was ändern zu müssen und das waren dann auch mal meine Haare ;)
    Für den Abiball ist es auch sicher schön, noch mal eine tolle Frisur mit den langen Haaren zu zaubern, aber da ich meinen eigenen Abiball eh nicht besuche, war das für mich kein Argument ;)
    Ich wünsche dir dann zukünftig ganz viel Freude mit dem Schnitt, wenn du ihn dir bald gönnst :)
    Liebe Grüße

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  4. Ich bin gerade ehrlich gesagt sprachlos. Wie unglaublich berührend ist dieser Text? Wirklich toll geschrieben und auch deine Zeichnung ist einfach schön!

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  5. Toller Text, tolle Zeichnung. Dein Blog hat etwas ganz eigenartiges, einzigartiges und faszinierendes.
    Bin jetzt Fan
    Liebste Grüße Katha

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  6. hey du,
    jabe mir gerade deinen ganzen blog durchgelesen und finde ihn ganz wunderbar! du hast eine tolle art zu schreiben die variiert von lebensfreudig und still und traurig. bin begeistert!!
    finde auch deine musik toll und deinen buchgeschmack (silvia plath finde ich auch toll! und klar harry potter haha)
    mach weiter so! (ok das ist der dämlichste "motivationsspruch", ist ja fast peinlch, sorry :) )
    karla

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  7. Hey, tut mir leid für die späte Antwort, war im Abiturstress;D
    Danke für deinen lieben Kommentar, sowas motiviert einen echt weiter zu bloggen^^

    Und wow das Bild ist echt schön gezeichnet, gefällt mir total:o

    Annelie:))

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  8. Wow, ein rundum in sich geschlossener Post - gefällt mir sehr gut!
    Besonders deshalb, weil du damit all meine Ansprüche an einen Blog erfüllst ;)
    Er sticht heraus, da er anders ist, persönlich und kreativ. Damit hast du eine neue Leserin!

    Alles Liebe <3
    Thuy

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  9. Dieser Post ist perfekt! Erstens mal ist das Bild da oben das wunderschönste, das ich je gesehen habe. Und der Text ist sprachlich einfach so so wundervoll und inhaltlich wünsche ich mir sehr, dass es dir gut geht. (Und ich weiß, wir kennen uns gar nicht, aber ich hab das Bedürfnis dir anzubieten, dass du gerne jederzeit mit mir schreiben kannst, wenn du möchtest!)

    Es hat ganz klar einen Grund, dass dein Blog einer meiner Lieblinge ist!

    Alles Liebe ♥

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